Dialog über das Glück
Heidi Luft und Michael Seibel • zwischen Heidi Luft und Michael Seibel anläßlich des Philosophietreffens am 7.12.2016 (Last Update: 07.12.2016)
Sprechen wir darüber. Schriftlich diesmal, um eine weitere Chance wahrzunehmen, die Argumente zu ordnen und vielleicht ein wenig zu schärfen, was wir parallel dazu besprechen.
Heidi Luft: Was für ein Glück, dass ich ein eigenständig denkender und fühlender Mensch bin! Mein Glück ist ein anderes als Deines – die Geburt eines Kindes habe ich nicht erlebt (ohne es also vermissen zu können), das Glück von Bernd Krolop kenne ich nicht einmal.
Glück als „unerwarteter Nutzen“ – diese Definition würde ich allenfalls für meine Teil-Betrachtung „Glück haben“ gelten lassen, wobei „Nutzen“ das Hochgefühl, die überschwängliche Stimmung der jeweiligen Situation m.E. nicht trifft. Überhaupt nicht passend sehe ich diese Definition für die Empfindung „glücklich sein“. Aber auch Dein wörtlich „gesättigter Zustand“ trifft meine Gemütslage nicht im geringsten. Aber diese Beschreibungen zeigen wieder einmal, wie verschieden die menschliche Seelenlage ist, nach Gerhard Roth überrascht mich das gar nicht. Robert Pfaller hat so einen treffenden Ausdruck gebraucht: die Zwiespältigkeit der Seele, und zwar schon jedes Einzelnen, aber erst recht in der Verschiedenartigkeit untereinander!
Das Glück des Individuums ist – wie wir sehen – schon eine schwer zu vereinheitlichende Sache, für das Glück der menschlichen Gesellschaft insgesamt kann es m.E. vielleicht einige Grundvoraussetzungen geben.
Zum Glück des Individuums Heidi Luft benenne ich einfach mal mein brain-storming zu diesem Gefühl:
Geborgenheit, Dankbarkeit, innerer Reichtum, Kreativität, Akzeptanz der Unberechenbarkeit des Lebens, Freiheit, Denkfähigkeit, Liebesgefühle, Freundschaftsgefühle, Genuss der 5 Sinne.
Die Ausdrucksmöglichkeit des Glücksempfindens sind mal Stille, Gelassenheit, Wunschlosigkeit, „Gedankenlosigkeit“ oder aber singen, juchzen, hüpfen!
Zum Glück für die menschliche Gemeinschaft fallen mir folgende Voraussetzungen ein:
Frieden!!! Sicherheit, Heimatgefühl, Gerechtigkeit, keine existentielle Not, Kulturangebot, Bildungsangebote, Traditionen, Leitkultur des Miteinander
Aber selbst wenn alle oder einige dieser Voraussetzungen erfüllt sind, liegt es doch an jedem Einzelnen, ob er sich glücklich zu fühlen im Stande ist (s.o.).
Da passt ganz gut der Ausspruch von Albert Schweitzer: Viele Menschen wissen, dass sie unglücklich sind. Aber noch mehr Menschen wissen nicht, dass sie glücklich sind!
Michael Seibel: Also gut. Du unterscheidest „Glück haben“ und „glücklich sein“. Bernd scheint das nicht unterscheiden zu wollen und das „glücklich sein“ für eine mehr oder weniger aufgeblasene Form des glücklichen Zufalls zu halten. Ich teile in dieser Hinsicht deine Position und nicht die von Bernd. Ich denke, Bernd müsste klären, was das an einem Zufall ist, was daraus einen glücklichen macht. Es reicht m.E. nicht zu sagen, wenn ich einen 50 Euro-Schein finde, ist das ein glücklicher Zufall, weil das den mir zur Verfügung stehenden Geldbetrag erhöht, so als mache der Besitz von Geld per se glücklich. Dafür gibt es zu viele unglückliche Geldbesitzer.
Also: Was bitte könnte am Fund von 50 Euro glücklich machen? Da gibt es eine riesige Menge Möglichkeiten. Man könnte mit jemandem essen gehen und sich gut fühlen. Man könnte sie im Fundbüro abgeben und sich moralisch beseelt fühlen. Aber was auch immer, in jedem Fall führt die Frage nach dem Glück über ein bloß ökonomisches Faktum hinaus und zwar völlig unabhängig davon, wie der einzelne die Frage danach, was ihn denn an dem Fund glücklich macht, beantwortet.
Meiner Meinung nach ist dieses Hinausweisen über eine pure Faktizität dem Glück wesentlich. Jetzt kann und muss man wohl auch fragen: Von wo aus und woraufhin weist denn die Frage nach dem Glück hinaus?
Wenn jemand behauptet, urteilt, die Proposition formuliert, etwas mache ihn glücklich, dann verweist er zunächst einmal von sich selbst auf ein Beglückendes. Das ist ein Ausdruck mit zwei Termen: das Selbst und das Beglückende oder vielleicht kann man auch sagen, das Andere im Modus des Glücks. Das Andere, das was ich nicht selbst bin, woraufhin ich mich intentional beziehe, kann mir nun allerdings in vielerlei Modalitäten erscheinen, es kann ebenso Besorgnis erregend, herausfordernd, Begehren erregend und vieles mehr sein.
Und offenbar erscheint im Glücklich-Sein nicht nur das/der Andere im Modus des Glücks (das man mit den 5 Sinnen genießen kann, bei dem man sich geborgen fühlt, dem man dankbar ist, den man liebt und für den man Freundschaftsgefühle hegt, um deine Beschreibung einzusetzen), sondern auch das Selbst (innerer Reichtum, Kreativität, Akzeptanz der Unberechenbarkeit des Lebens, Freiheit, Denkfähigkeit).
Das glückliche Selbst ist, wie wohl jeder zugesteht, sehr gut unterscheidbar vom erschrockenen oder depressiven oder leidenden Selbst. Der Schmerz weist über das Faktische ebenso hinaus wie das Glück. Damit möchte ich nicht sagen, dass es keine Identität zwischen meinem Selbst, der ich jetzt glücklich bin und meinem Selbst, das ich vielleicht gleich sein werde, wenn ich leide oder ruhelos getrieben bin oder was auch immer. Wenn das Band des Selbst zwischen dem glücklichen und dem leidenden reißt, hat man es wohl mit einem pathologischen Befund zu tun.
Mir scheint aber ziemlich deutlich, dass ich nicht der selbe Mensch wäre, wenn in meinem persönlichen Set emotionaler Erfahrungen das Glück fehlen würde, wiewohl ich es schwer finde zu beschreiben, wodurch es zu einem solchen Fehlen kommen könnte. Ein Glück, das immer ein Hinaus-Sein über das Faktische ist, eine bestimmte Form des Seins-beim-anderen und des Seins-bei-mir-selbst. Glück ist eine Erfahrung. Unglück auch. Leid auch. Und Erfahrung ist eine Form von Hinaus-Sein über Faktisches. Inwiefern wir überhaupt mit puren Fakten irgend etwas zu tun haben können, ist eine offene Frage. Üblicherweise haben wir dann etwas mit Fakten zu tun, wenn wir durch Erfahrungen an sie verbunden sind, glückliche und weniger glückliche. Aber das geht wohl jetzt zu weit.
Ob es Menschen gibt, die das Glück nicht kennen? Ich denke, nicht.
Jedenfalls fällt mir bei deiner Beschreibung deines persönlichen Glücklich-Seins auf, gerade wenn Du es auch noch gegen mein Schlagwort vom Gesättigt-Sein absetzt (Habe ich das wirklich so gesagt?), also auch noch das Ungesättigte, nach vorn Treibende, die ganze Dimension von Möglichkeit dazu nimmst, dass Du in der Tat eine sehr weite Vorstellung vielleicht nicht einmal von dem hast, was dich glücklich macht, sehr wohl aber von dem, was das Glück mit dir macht. Also sozusagen von einem glücklichen Selbstverhältnis.
Eine grundlegende Kritik, ich könnte mir vorstellen auch bei Bernd, setzt bei der Trennung von Selbstverhältnis und Weltverhältnis an. Demnach wären Glücksgefühle einfach ein integraler Bestandteil des In-der-Welt-Seins und die Unterscheidung eines Selbst eine Art von außen induzierte Fiktion. Mich überzeugt das Gegenargument gegen das Selbst allerdings nicht, denn selbst wenn das Selbst eine Fiktion, ein instabiler Ort oder was auch immer wäre, wäre es immer noch die Perspektive, von der aus individuell Welt erlebt wird. Würde sozusagen der Ort, von dem aus wir die Welt erleben, vom Selbst auf etwas anderes verschoben, z.B. auf die Position des von jeder Subjektivität bereinigten wissenschaftlichen Beobachters, wäre auch dieser andere Ort ein Effekt von Kulturen des Denkens und der Praktiken. Und wehe, der hypothetische Wissenschaftler wäre auch nur einen Augenblick glücklich. Sogleich würde das Persönliche, das Subjektive, das ihn unersetzbar durch irgendeinen anderen Wissenschaftler macht, wieder neu aufkommen.
Es ist, wie es scheint, gerade das Bemerkenswerte am Glück, dass das Glück des einen gegen das des anderen unvertauschbar ist und dass in ihm die Differenz von Selbst und Welt ständig auf eine nicht durch irgendeine Theorie gesetzte Art und Weise aufkommt. Man wirft dem abendländischen denen ja allerorten die Trennung von Subjekt und Objekt als eine vom Denken gesetzte vor, die ein Fehler sei, der hinterher durch nichts mehr zu heilen sei. Aber im Glück ist es nicht das Denken, das vor dieser Differenz steht oder sie ursprünglich herbeigeführt hat. Und vor allem ist die Differenz von Selbst und Welt im Glück auch nicht etwas, womit sich nicht leben ließe, sondern ganz im Gegenteil. Außerdem ist die Differenz von Glück und Leid nicht ohne weiteres eine vom Denken konstituierte, zumindest nicht aus europäischer Sicht. Der Buddhismus sieht das vielleicht anders.
Extrem durchgespielt ist der Glücksanspruch als Maßstab für das Selbst- und Weltverhältnis bekanntlich in Goethes Faust, natürlich am deutlichsten in Fausts Sterbeszene, 5 Akt Faust 2.
Was ein glückliches Selbstverhältnis angeht, bist Du kaum bescheidener als Faust. Beim Weltverhältnis scheinst Du mir allerdings erheblich maßvoller.
Dann noch eine Bemerkung zum Glück für die menschliche Gemeinschaft. Ist das jetzt für dich eigentlich etwas anderes als das Glück jedes einzelnen? Also Geborgenheit, Dankbarkeit, innerer Reichtum, Kreativität, Akzeptanz der Unberechenbarkeit des Lebens, Freiheit, Denkfähigkeit, Liebesgefühle, Freundschaftsgefühle, Genuss der 5 Sinne für jeden oder doch im Grunde nur „satt und sauber“ für alle wie im schlechten Altenheim? Das war und ist in der Philosophie eine lange Diskussion.
Du scheinst mir an dieser Stelle teils mit Glücksbedingungen (Frieden, Sicherheit, Gerechtigkeit, keine existentielle Not) und teils mit Glücksgütern (Kulturangebot, Bildungsangebote) zu argumentieren. Die Begriffe Heimatgefühl, Traditionen, Leitkultur des Miteinander beschreiben wohl eine von gemeinsamen Geschichten, Narrativen, Ritualen unterlegte, vom einzelnen erfahrbare kollektive Konfliktfreiheit. Aber das ist natürlich eine interessante Frage nach einem möglicherweise kollektiven Charakteranteil des Glücks.
Und noch eine Bemerkung zur Vaterschaft. Es ging mir eigentlich weniger darum, die Erinnerung an die Geburt meiner Tochter als sensationelles Supererlebnis herauszustellen, sondern eher darum, anzusprechen, wie sich das Urteil über das eigene Glück an bestimmten Erinnerungen festmacht, die wesentlich vieldeutiger sind, als sie zu sein scheinen, wenn sie erst einmal zum Inbegriff des Glücklichseins geronnen sind. Glück macht sich offenbar in meinem Beispiel an etwas fest, das sich gerade nicht verkosten läßt wie drei Sorten Joghurt. Etwas taugt mir dazu, Glück genannt zu werden, gerade weil auf der Seite des Selbst Vielfältiges zusammenkommt, Glücksgefühle, Liebe, Sorge, Neugierde und Erstaunen, Entschlossenheit, Bereitschaft, eine bestimmte Rolle anzunehmen, etwas schuldig zu sein, Stolz. Gerade diese Gefühls-Melange bietet sich an, im Lauf der Jahre immer wieder neu erfunden und neu bewertet zu werden, ebenso wie man selbst das ursprüngliche Erlebnis im Licht dessen, was in der Welt daraus geworden ist, immer wieder neu interpretiert.
Glück ist offenbar kein statisches Monument wie das Denkmal vor einem Rathaus.
Ich schätze Hegel besonders dafür, dass er Wahrheit als ein Werden gedacht hat und nicht als Brikett. Ich denke, das gilt auch für das Glück. In ihm verschränken sich Erfahrung und Erfindung.
Zur ethischen Dimension: Die Möglichkeit der Glückserfahrung nicht zu durchkreuzen, könnte ein sinnvolles ethisches Postulat sein.
Was meinst Du?
Heidi Luft: Zuerst sage ich mal, was mir an Deinen Ausführungen gut gefällt.
Das ist zum einen Deine Analyse/ Begriffswahl zu H.L.: glückliches Selbstverhältnis!
Im Volksmund würde das vielleicht heißen: Sie hat eine glückliche Natur. Dazu hatte ich gerade – schon vor Deiner Antwort – folgendes für mich notiert:
Ich denke, dass es eine gewisse Bereitschaft gibt, sich glücklich zu fühlen/ zu nennen, und dass diese Bereitschaft ein Geschenk ist (Gene, Seelendisposition).
Und diese Bereitschaft kann ich auch bewusst leben – im Sinne von eigener Belohnung (hier kommt vielleicht Bernd mit seinem „Nutzen“ wieder ins Gespräch).
Während der Lektüre von Gerhard Roth hatte ich einen Email-Austausch mit der Mitautorin Nicole Strüber über die Frage: Wie weit kann ich eine angelegte, mich störende Disposition verändern? Nur dann, wenn ich es ernsthaft will, wenn möglicherweise eine Belohnung (sich besser fühlen) dabei herauskommt.
Ich finde, hier passt Dein letzter Satz recht gut:
Zur ethischen Dimension: Die Möglichkeit der Glückserfahrung nicht zu durchkreuzen…d.h. Bereitschaft zu haben, die Annahme nicht zu verweigern!
Das immer so abfällig benutzte „sich etwas schön reden“ verstehe ich mehr in dem Sinne, dass ich das, was nicht zu ändern ist (an den Lebensumständen), gelassen nehmen sollte (meine sog. Akzeptanz der Unberechenbarkeit des Lebens).
Heute Morgen habe ich während der Lektüre von Robert Pfaller für mich nochmals „glücklich sein“ definiert: optimistisch, dankbar, gefühlvoll, zugewandt, beherzt=mit Herz, humorvoll, frei (die Gedanken sind frei), offen („5“ gerade sein lassen können).
Aus Deinem Satz mit dem Begriff „glückliches Selbstverhältnis“ lese ich, dass Du dieses Gefühl „unbescheiden“ nennst. Warum? Ich verlange nichts von anderen, allenfalls ist es eine Selbstreflexion, innere Einkehr.
Die Begriffe „Weltverhältnis“ und „Glück für die menschliche Gemeinschaft“ sehe ich im Zusammenhang. Aber was ist daran maßvoll, wie Du schreibst? Ich finde die äußeren Glücksbedingungen nahezu maßlos (Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit…) – weil nicht leicht erreichbar, nicht dauerhaft und erst recht nicht überall zu verwirklichen.
Dagegen glaube ich, dass für jedes Individuum irgendwie zu irgendeinem Zeitpunkt und durch irgendein Ereignis „glücklich sein „möglich ist, unabhängig von den äußeren Bedingungen!
Michael Seibel: Du gehst nochmals ein auf den Ausdruck „Etwas schön reden“, der normalerweise sagt, von etwas, das nicht schön ist, reden, als sei es schön, also unaufrichtig, schönfärberisch, unwahr reden.
Du sagst, du möchtest dem Ausdruck einen anderen Sinn geben, nämlich den Sinn von hinnehmen, „was nicht zu ändern ist.“
Ein Beispiel: ich atme Luft. Das läßt sich nicht ändern. Aber warum sollte ich daran etwas ändern wollen? Ich brauche es mir also auch nicht schön zu reden.
Etwas anderes: Ich bin durch einen Unfall beinamputiert. Das würde ich gern ändern. Es läßt sich aber nicht ändern. Es schön zu reden wird nicht viel helfen. Aber es stimmt: ich werde lernen müssen, damit zu leben. Und es besteht kein Grund, warum mein Leben damit ein unglückliches sein muß. Aber dahin muß ich erst einmal kommen.
Ich bin sicher, dass du solche Beispiele im Sinn hast.
Ein drittes Beispiel: Damit mein neues T-Shirt für ein paar Euro zu haben ist, nehme ich hin, dass jemand in Bangladesh es für 3 Cent zusammennäht. Ich argumentiere: „Die Menschen dort hätten sonst gar keine Arbeit und würden hungern.“ Das ist die Art des Schönredens, die wir sicher beide ablehnen. Und nebenbei: stimmt es überhaupt, dass sich der Sachverhalt nicht ändern lässt? Natürlich nicht.
Beispiel 1 und 3 meinen wir also nicht. Bleiben wir bei Beispiel 2. Etwas, das eigentlich völlig unakzeptabel ist, soll durch Selbsteinwirkung, durch das, was ich an mir selbst zu verändern in der Lage bin, akzeptabel werden.
Ist das so? Der Amputierte, um im Beispiel zu bleiben, wird schnell feststellen, dass er mit dem Rollstuhl nicht ohne weiteres in die Straßenbahn kommt, dass er mit etwas Pech seinen Job los ist und dass ihn vielleicht sein Partner verläßt. Bei aller geistigen und lebenspraktischen Disziplin, die er selbst aufzubringen in der Lage ist, entgeht ihm nicht, wie abhängig er von der Unterstützung bis hin zu modernen Prothesen und sogar der Liebe anderer ist bei seinem Versuch, sich mit etwas abzufinden, was nicht zu ändern ist.
Sollte der Amputierte also sagen: „Es kommt allein auf mich an, ob meine Lage für mich akzeptabel wird oder nicht“, ist das ein Fehlurteil, bei dem man nicht wissen möchte, was ihn dazu treibt, so sehr ich auch finde, dass es beim Hinnehmen dessen, „was nicht zu ändern ist“, ohne eigene Anstrengung in der Tat auch nicht geht.
Ich würde es das Begehren nach Glücksautarkie nennen, wenn jemand meint, es komme beim Glücklichsein letztlich nur auf ihn selbst an, denn falls etwas inakzeptabel sei, sei es an ihm, sich damit zu arrangieren. Ich halte die Position für unhaltbar. Aber schon so mancher Soldat wurde auf eine unhaltbare Position befohlen und ist dort verschieden.
Ich würde sagen, hier redet a) jemand, der entweder immer wieder die Erfahrung gemacht hat, dass er widrige Umstände zu seinen Gunsten in glückliche verändern konnte, und er deshalb meint, das Entscheidende liege an ihm oder b) jemand, der die Bedingungen, die von anderen und von außen erfüllt sein müssen, damit er glücklich leben kann, so selbstverständlich nimmt, dass er sie vergessen hat, so wie man im Gespräch das Telefon vergißt, durch das man sich gerade mit dem anderen unterhält und das einem erst beim nächsten Funkloch wieder einfällt oder c) jemand, der dermaßen wenig Zutrauen zum Beitrag anderer zu seinem Glück hat, dass er es weder zu denken noch zu zu fordern wagt.
Und wahrscheinlich gibt es noch eine ganze Reihe anderer Gründe, die Position der Glücksautarkie einzunehmen. Wir erwarten eben viel von uns selbst. Das meinte ich übrigens auch mit der Unbescheidenheit im Selbstverhältnis. So mancher ist unbescheiden, was er von der Welt erwartet und mancher ist äußerst anspruchsvoll bei den Erwartungen an sich selbst. Ansprüche an sich selbst stellen kann damit einhergehen, dass man sich auch selbst viel zutraut und leider auch genauso damit, dass man sich fast nichts zutraut. Der erstere Fall ist sicher der glücklichere.
Leider werden wir auch dadurch nicht glücksautark. Niemand. Man mag sich selbst belohnen, soviel man will. Ernsthaft sich selbst zu belohnen ist meiner Meinung nach fast so unmöglich wie sich selbst zu kitzeln und ist m.E. im Wesentlichen Therapeutengeschnatter und Reklame. Zur Belohnung gehört der Belohnende. Zur Zärtlichkeit der Zärtliche. Und der fehlt. Ich würde eher von einer Selbstautorisierung reden statt von einer Selbstbelohnung. Aber wahrscheinlich stehe ich mit meiner Meinung allein. Die ganze Welt redet davon, dass man sich gelegentlich selbst belohnen sollte. Man gestattet sich etwas, was man sich sonst verbietet, was man selbst sonst, wo kein Anlaß besteht, für Verschwendung halten würde. Was aussieht wie Selbstbelohnung, sieht mir aus der Nähe aus wie ein aggressiver Akt gegen den wieder einmal ausgebliebenen Lobenden. Aber da stehe ich vielleicht mit meiner Meinung allein da.
Den Gedanken, Glück ins Verhältnis zu setzen mit der Forderung, hinzunehmen, was sich nicht ändern läßt, halte ich für wichtig und durch meine obigen Bemerkungen für keineswegs erschöpfend behandelt. Außerdem finde ich gegen die Vorstellung, sich selbst ändern zu können, an sich nichts einzuwenden. Ich finde sie nur nicht voraussetzungslos.
Ich möchte den Gedanken des Hinnehmens als Glücksbedingung mit der Gegenposition konfrontieren, die im Faustdrama zu lesen ist:
Das
ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der verdient sich
Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.
Und
so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier
Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.
Solch ein
Gewimmel möcht' ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volke
stehn.
Zum Augenblicke dürft' ich sagen:
Verweile doch, du
bist so schön!
Hier ist Hinnehmen gerade nicht die Glücksbedingung. Aber dieses Nicht-Hinnehmen, das ewig tätige, die Welt verändernde „tüchtig Jahr“ ist, man kennt das Ende des Dramas, Wahn – die unhaltbare Position. Wahnhaft daran ist noch nicht einmal, dass das Tätigsein die Welt verändert, denn das ist zweifellos der Fall. Wahnhaft ist das Glück, das darin besteht, in der Veränderung die eigene Leistung zu sehen. Das bin also ich, der geniale Weltveränderer. So will ich mich ewig sehen. Etwas Wahn steckt im Glück, oder nicht?
Wie unterscheiden sich der Glücksautarke und der Weltveränderer? Leicht Wahnhaft ist beides.
Man darf sich unter Wahn nicht etwas besonders Fragiles vorstellen. Ganz im Gegenteil. Vorstellungen, die der Gesunde als illusionär durchschaut, scheinen im Wahn stabil. Das wüsste schon David Hume. Glück ist offenbar eine fragile Angelegenheit. Der Wahn tritt an, um Glück, das bekanntlich unverfügbar und flüchtig ist, zu stabilisieren, sowohl der des Glücksautarken (Stoa) wie des Weltveränderers (Faust).
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